Über das Wesen des verschiedenen Kunstwollens im Orient und Okzident
Die Zeichnung auf der Rückseite von AMWG0 steht in engem Zusammenhang mit einer der frühesten Schriften von , (), die eine Zusammenfassung der Thesen des Kunsthistorikers darstellt.
hatte mit dem Begriff des Kunstwollens den schöpferischen Gestaltungswillen eines Künstlers beschrieben, der die gesellschaftlichen Umstände der jeweiligen Zeit und des Ortes widerspiegelt. In Anlehnung daran unterschied in seiner Schrift zwischen dem „antik-orientalischen Kunstwollen“ mit einer instinktiv-sinnlichen und einfach differentiellen Ordnung, die direkt auf das Chaos folgt und dem „barock-indogermanischen Kunstwollen“ mit einer individualisierten Überdifferenziertheit, die sich dem Chaos bereits wieder annähert (). präferierte klar die „antik-orientalische“ Lösung. In ihr sah er ein Vorbild für eine neue Körperlichkeit in der Architektur im Gegensatz zur zeitgenössischen Praxis der historistischen Applikation von Ornamenten auf die Fassade, die mit der „barock-indogermanischen“ Tradition assoziierte (). Seine Argumentation folgte dabei der seines Lehrers : Durch das erhöhte Bewegungstempo des Verkehrs im Industriezeitalter dürfe das Auge bei der Betrachtung der Fassade nicht durch Überflüssiges aufgehalten werden, sondern müsse instinktiv die „organische Zusammengehörigkeit“ des Baus erfassen können (). Siehe zu diesen Ausführungen , S. 47–49 sowie , S. 255–257. Der gesamte Text ist abgedruckt in , S. 97–100 (in spanischer Übersetzung).
Zu Beginn der Beziehung zu zeichnete bei einem gemeinsamen Spaziergang in Tobelbad eine Skizze (: Privatbesitz), die seine Auffassung zur Architektur illustrieren sollte. Zwei horizontale Fassadenschnitte finden sich auf der Rückseite der Briefkarte AMWG0, wobei einerseits das „antik-orientalische“ () Prinzip verdeutlicht werden sollte, bei dem durch Wegnahme von Baumasse die Einheitlichkeit des Baus erhalten und sinnlich auf einen Blick erfahrbar bleibt (s. , S. 48). Andererseits stellte das „barock-indogermanische“ () Prinzip dar, bei dem zusätzliche, auf die Grundform applizierte Baumassen individuell, d. h. im Detail, wahrgenommen werden müssen (, S. 48). Eine direkte Reaktion auf diese Zeichnung vonseiten findet sich innerhalb der Korrespondenz nicht. Offensichtlich beließ es nicht bei einer illustrierenden Darstellung, sondern übergab auch das eigentliche Manuskript, wie eine von ihrer Hand stammende Skizze auf der Rückseite vermuten lässt (, Signatur GS 20, Mappe 5). Ihre Zeichnung (: , GS20, Mappe 5) zeigt den Grundriss eines Dachgeschosses, wahrscheinlich des Trenkerhofes in Toblach, des Sommersitzes des Ehepaares Mahler. In der Handschrift ist festgehalten, in welchem Zimmer sie, ihr und die gemeinsame jeweils schliefen. Aus der Korrespondenz geht weiterhin hervor, dass das Manuskript Ende August in Besitz war: Deine Schrift über das Kunstwollen , das Du mir schon einmal – auf dem Wiesenweg (mit Pleschner u. meiner Schwägerin) auseinander gesetzt hast[,] habe ich einmal gelesen – aber in den Tagen der Sorge […] nicht gründlich genug, um mit Dir darüber zu reden[.] – Ich nehme es wieder vor […] (morgen) und schreibe Dir darüber genau (AM25 vom 24. August 1910). Ob ihr das Manuskript schon in Tobelbad oder erst bei seinem Aufenthalt in Toblach Anfang August übergab, lässt sich anhand der Korrespondenz nicht eruieren. Weitere Ausführungen von finden sich im Jahr 1910 nicht, stattdessen schrieb im Herbst desselben Jahres: Warum auf meine Briefe nie eingegangen? Kunstwollen (WG82, frühestens 9. Oktober 1910). Erst im Juli 1911 äußerte sich dazu: Ich habe auf einmal mit der größten Freude Deine Schrift gelesen (AM78 vom 6. Juli 1911).
Abb.: Unbekannt, Wildbad-Sanatorium Kurort Tobelbad, zeitgenössische Postkarte.
Abb.: Alma Mahler, Zeichnung eines Dachgeschosses mit den Schlafzimmern von „Gustav“, „ich“, „Gucki“, wahrscheinlich den Trenkerhof wiedergebend (, Rückseite, Ausschnitt).